23.12.2022

Nachhaltig und sicher fliegen - nur eine Zukunftsfantasie?

Neuartige Materialien zur Ressourcenschonung in der Luftfahrt

Flugreisen und Luftverkehr sind brennende Themen, wenn es um den ökologischen Fußabdruck geht.
Damit beschäftigt sich das Forschungsteam um Prof. Dr. Gerd Wehnert und Prof. Dr.-Ing. Dominik Söthje von der Fakultät Angewandte Chemie. In ihrem Projekt bio-Lufa entwickelt es Faserverbundwerkstoffe auf Grundlage von nachwachsenden Rohstoffen für die Luftfahrt.

Faserverbundwerkstoffe bestehen aus zwei Komponenten und begegnen uns jeden Tag: in natürlicher Form als Holz oder Bambus, oder als synthetische Materialien in den Flügeln von Windkraftanlagen. Auch beim Fliegen sind
wir von Faserverbundstoffen umgeben – üblicherweise von solchen, die auf Phenol-Formaldehydharzen basieren. Eingesetzt werden sie beispielsweise für Bauteile wie den Fußboden, das Deckenpanel oder das Ablagefach für Handgepäck. Die Panels haben im Kern eine Art Honigwaben-Struktur, auf Ober- und Unterseite befindet sich eine Decklage aus Glasfaser- oder Carbonfaserverstärktem
Kunststoff.
Das Forschungsteam um Prof. Dr. Gerd Wehnert und Prof. Dr.-Ing. Dominik Söthje aus dem Lehr- und Forschungsgebiet Makromolekulare Chemie und Kunststofftechnik an der Fakultät Angewandte Chemie will diese erdölbasierten Faserverbundkunststoffe nun im Projekt bio-Lufa durch neuartige, biobasierte Varianten ersetzen.
„Wir gehen weg von den Phenol-Formaldehydharzen zu Epoxidharzen, die mit wesentlich weniger Aufwand in Form gebracht werden können“, erläutert Söthje. Denn bei der Aushärtung von Phenoplast, der Kunststoff-Basis der Phenolharze, entstehen aufgrund chemischer Prozesse Fehlstellen im Material oder auf der Oberfläche, die aufwendig manuell nachbearbeitet werden müssen. Epoxidharze hingegen vernetzen sich ohne diese Probleme, man erhält unmittelbar eine schöne Oberfläche und ein kompaktes Bauteil, was letztlich auch die Herstellungskosten der einzelnen Teile senkt.
Dass die Herstellung dieser Teile in ein und demselben Forschungsbereich möglich ist, ist eine Besonderheit an der TH Nürnberg. Denn das Lehrgebiet Makromolekulare Chemie und Kunststofftechnik befasst sich gleichermaßen mit beiden Gebieten. „Was durchaus ungewöhnlich ist“, stellt Wehnert klar, der seit 1994 die Professur in diesem Lehrgebiet innehat, „denn meist sind die Fächer nicht nur getrennt, sondern auch an unterschiedlichen Fakultäten angesiedelt. Wir können hier beide Aspekte behandeln und das Projekt profitiert enorm davon.“ Die beiden Forscher können auf diese Weise Polymere im eigenen Chemielabor synthetisieren und dann im eigenen Technikum, nur wenige Schritte entfernt, Formmassen herstellen und weiterverarbeiten.
Seit März dieses Jahres wird Wehnert in seinem Lehrgebiet von Söthje unterstützt. Beide Wissenschaftler sind Inhaber von Forschungsprofessuren und teilen sich die Lehrverpflichtung von 18 Semesterwochenstunden miteinander. Noch eine Besonderheit also: Professorinnen und Professoren, die in beachtlicher Weise Forschungsaktivitäten zeigen, nachgewiesen etwa durch eingeworbene Drittmittel, können eine Reduktion der Lehrverpflichtung erhalten. So bleibt mehr Zeit für die Forschung.
Die Idee zum Projekt bio-Lufa kam von außen, wurde durch den Partner Diehl Aviation Laupheim GmbH an das Forschungsteam herangetragen und gemeinsam weiterentwickelt. Gefördert wird das auf vier Jahre angelegte Projekt
mit insgesamt 392.000 Euro durch das Luftfahrtforschungsprogramm VI des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Und es verfolgt die Erforschung mehrerer Ziele: die Entwicklung biobasierter Faserverbundkunststoffe als Basis, die Recyclingfähigkeit des Kunststoffs sowie die Weiterverarbeitung zu stabilen und flammfesten Materialien.
Letzteres ist auch Kernthema einer Promotion innerhalb des Projekts, denn die Flammfestigkeit im Flugzeug ist von herausragender Bedeutung: Eine Notlandung dauert mindestens eine halbe Stunde, verbaute Materialien müssen also mindestens 30 bis 45 Minuten einem Brand standhalten können. Und genau da liegt die Herausforderung bei der Entwicklung neuer Materialien.
Die Phenolharze, die bislang in der Kabine zum Einsatz kommen, sind von sich aus flammfest, Epoxidharze bieten diesen Vorteil nicht. „Das ist dann schon spannend“, gibt Wehnert zu. „Wenn wir Naturfasern einbetten, kann es sein, dass sie zwar gute Erfolge erzielen, aber eben auch unwahrscheinlich gut brennen. Die Herausforderung ist also: Gelingt es uns, dieser Flammfreudigkeit einen Riegel vorzuschieben?“ Bislang wurde in Versuchen vor allem auf halogenhaltige Flammschutzmittel gesetzt – diese reichern sich allerdings in der Natur an. Doch es ist vorstellbar, dass es auch neuartige Verbindungen gibt, die den Verbrennungsprozess abbrechen oder verlangsamen können. Diesen Verbindungen will das Projektteam auf die Spur kommen.
Der Aspekt der Recyclingfähigkeit wird im Rahmen einer weiteren Promotion untersucht: Der Wertstoff- und Materialkreislauf wird von Anfang an mitgedacht. „Wir gehen nicht in die Entwicklung eines neuen biobasierten Materials, setzen es ein und machen uns dann in 20 Jahren, wenn es ausrangiert wird, Gedanken über das Recycling, sondern wir bedenken das direkt von Beginn an“, verdeutlicht Söthje. Denn nur, weil ein Kunststoff biobasiert sei, bedeute dies nicht, dass dieser auch biologisch abbaubar oder leicht zu recyceln ist. So sucht das Team nach Wegen, um die Kunststoffe durch chemisches Recycling wieder aufzubereiten und den Grundstoff zurück in den Materialkreislauf führen zu können. Für eine mögliche Lösung fänden sich künftig auch Einsatzmöglichkeiten in anderen Branchen: im Automobil- und Schiffbau, aber auch bei der Produktion etwa von Windkraftanlagen und allgemein dort, wo das Thema Flammfestigkeit von größter Relevanz ist.


An dem Projekt arbeiten innerhalb der TH Nürnberg mit:
Prof. Dr. Gerd Wehnert
Prof. Dr.-Ing. Dominik Söthje
Elisabeth Schamel
Florian Bauer

Fakultät Angewandte Chemie


Externe Partner:
Diehl Aviation Laupheim GmbH


Projektförderung:
Luftfahrtforschungsprogramm VI, Zweiter
Programmaufruf, des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Klimaschutz

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