26.05.2025

Mit weniger Energie mehr Leben retten

Von Julian Hörndlein

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Lebensretter sind oft Defibrillatoren. Deren Einsatz geht aber mit erheblichen Nebenwirkungen einher. Forscher an der Ohm simulieren schonendere Pulsfolgen für implantierbare Defibrillatoren, die im Ernstfall das Herz wieder in den richtigen Rhythmus lenken.

Die Fußball-Welt hielt den Atem an, als der dänische Nationalspieler Christian Eriksen während eines Spiels bei der EM 2021 auf dem Feld zusammenbrach – er hatte einen Herzstillstand erlitten. Wenige Tage später wurde dem Profi ein Defibrillator implantiert, der künftig dafür sorgen soll, dass das Herz im Falle eines Kammerflimmerns oder eines Stillstands wieder richtig schlägt. In der Fachsprache heißt ein solcher implantierter Defibrillator ICD, kurz für implantable cardioverter-defibrillator.

Stromstoß mit Nebenwirkungen
Ein Defibrillator schickt einen starken Stromstoß durch den Körper. Er lenkt das Herz zwar wieder in die richtige Bahn, die Nebenwirkungen sind allerdings erheblich. Gerade implantierbare Defibrillatoren schädigen das Herz, der Schock ist außerdem sehr schmerzhaft. Menschen, die mit einem solchen Gerät leben, erzählen von der psychischen Belastung – schließlich lebt man jederzeit in der Erwartung, dass ein starker Stromstoß den Körper durchzucken könnte. Auch posttraumatische Belastungsstörungen sind möglich.

Demografischer Wandel befördert Trend
Dennoch sind Defibrillatoren echte Lebensretter: Am plötzlichen Herztod, meist ausgelöst durch lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern, sterben in Deutschland jährlich 65.000 bis 70.000 Menschen. Hinzu kommt die Volkskrankheit Vorhofflimmern, die das Risiko für Blutgerinnsel, Schlaganfälle und Herzinsuffizienzen erhöht. „Durch den demografischen Wandel hin zu einer älteren Bevölkerung werden Herzrhythmusstörungen immer mehr zum Thema“, sagt Prof. Dr. Thomas Lilienkamp, Forschungsprofessor an der Ohm und Leiter der Gruppe Computational Physics for Life Science (CP4LS).

"Flimmern" vs. gesunder Sinus-Rhythmus
Für Lilienkamp und seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Daniel Frühwald ist es ein Anliegen, die Nebenwirkungen von implantierten Defibrillatoren und damit das Leid der Betroffenen zu verringern. Beim Vorhof- und Kammerflimmern handelt es sich in der Fachsprache um eine Arrhythmie. Denn während sich das Herz bei gesunden Menschen nach einem elektrischen Impuls zusammenzieht und gemäß eines Sinus-Rhythmus‘ Blut durch den Körper pumpt, treten bei einer Arrhythmie Spiralwellen über das gesamte Herz hinweg verteilt auf (s. Bild rechts). Statt klarer Kontraktionen fängt das Herz also an, zu „flimmern“ – und das Blut wird nicht mehr effizient durch den Körper gepumpt. Die externen elektrischen Impulse, wie sie von Defibrillatoren in den Körper gegeben werden, bringen das Herz wieder in den Sinus-Rhythmus.

Forschung zu alternativen und energiearmen Strategien
Die Forschungsgruppe arbeitet an der numerischen Simulation zur Entwicklung von alternativen und energiearmen Defibrillationsstrategien. „Wir können Simulationen in verschiedener Komplexität fahren“, sagt Lilienkamp. Das reicht von einfachen zweidimensionalen Gewebepatches bis zu komplexen Simulationen auf CT-basierten Herzgeometrien von Patienten. In einer aktuellen Simulationsstudie konnte eine vielversprechende Impulsfolge mit energieärmeren Schocks entwickelt werden, die für die Patienten weniger schädlich, aber genauso effektiv ist.

Kooperation mit unterschiedlichen Partnern
Bis Patientinnen und Patienten allerdings von den weiterentwickelten ICDs profitieren können, wird noch einige Zeit vergehen, denn die Forschung steht mit der numerischen Simulation erst am Anfang. Lilienkamp und Frühwald arbeiten mit unterschiedlichen Partnern zusammen, darunter auch mit dem Klinikum Nürnberg. „Es ist für uns extrem wichtig, durch unsere Partner am Klinikum einen Einblick in die tägliche Praxis zu erhalten und viele Erfahrungen austauschen zu können“, erläutert Lilienkamp. Zudem besteht eine Partnerschaft mit dem Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen.

Experimente mit Tierherzen geplant
Nach der erfolgreichen Simulation der Defibrillationsstrategie ist der nächste Schritt ein sogenanntes Ex-Vivo-Experiment, bei dem in vorher entnommenen Tierherzen eine Rhythmusstörung erzeugt und die neue Niedrigenergie-Defibrillation getestet wird. Ist das weiterhin erfolgreich, dann könnten auch so genannte In-Vivo-Versuche mit implantierten Elektroden durchgeführt werden, bevor schließlich Menschen teilnehmen könnten. Bis dahin beschäftigen sich Lilienkamp und sein Team weiter mit einem der wichtigsten menschlichen Organe – aus gutem Grund: „Das Herz ist nicht mikroskopisch klein oder Lichtjahre von uns entfernt, trotzdem liegen noch viele Dinge im Unklaren“, sagt er.

Augmented-Reality-Brille erlaubt neue Einblicke
Neue Technologien versprechen aber auch neue Einblicke. Unter anderem halten KI und Machine Learning Einzug. Die Studentin Laura Diolosa beispielsweise visualisierte das menschliche Herz in ihrer Abschlussarbeit mit einer Augmented-Reality-Brille vor einem realen Hintergrund (s. Bild 1). Das kann bei der Schulung von medizinischem Personal oder bei der Patientenaufklärung helfen.

www.th-nuernberg.de/amp-gesundheit

An dem Projekt arbeiten innerhalb der Ohm mit:
Prof. Dr. rer. nat. Thomas Lilienkamp
Daniel Frühwald
Fakultät Angewandte Mathematik, Physik und Allgemeinwissenschaften
Externe Partner:
Prof. Dr. Stefan Luther
Max-Planck-Institut für Dynamik
und Selbstorganisation
Prof. Dr. Thomas Deneke
Klinikum Nürnberg, Rhythmologie
Prof. Dr. Matthias Pauschinger
Klinikum Nürnberg, Kardiologie
Projektförderung:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
 

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