Untersuchungen zum physiologisch und soziologisch motivierten Verhalten von Fußgängern bei Routenwahlentscheidungen (Vorlaufforschung: 2016)

Obwohl der Mensch bereits seit Millionen von Jahren ausschließlich und seit ca. 2000 Jahren beinahe ausschließlich zu Fuß unterwegs ist, spielt diese Art der Mobilität in der herrschenden Stadt- und Verkehrsforschung eine eher untergeordnete Rolle. Die Anteile des Fußgängerverkehrs im Personenverkehr werden systematisch deutlich zu gering eingeschätzt. Obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, dass das Zufußgehen das physische und psychische Wohlergehen fördert, wird in unserer von motorisierten Verkehrssystemen geprägten Welt das Zufußgehen offensichtlich als eine anachronistische Art der Fortbewegung gesehen und findet daher mit einigen wenigen Ausnahmen kaum Beachtung in der Bauleitplanung. „Fußgänger sind wie Schafe, die kann man überall hinscheuchen, und sie machen nicht mal, Mäh“ so der Promenadologe Bertram Weisshaar in der Süddeutschen Zeitung vom 5./6. November 2016. Obwohl Fußgänger*innen aufgrund ihrer physiologischen Grenzen gegenüber Steigungen und Umwegen besonders empfindlich sind, rückt nach wie vor die Sicherstellung der Flüssigkeit des Kfz-Verkehrs in den Fokus aller Planungsbemühungen.

Ziel des Projektes ist daher mitunter die Erarbeitung von Grundlagen im Bereich der Fußgängerforschung, insbesondere die Sammlung bisheriger, interdisziplinärer Forschungsergebnisse, sowie das Erarbeiten von Parametern mit Einfluss auf das Routenwahlverhalten.

Wichtige Ansätze zur Erforschung des Fußgängerverkehrs finden sich interessanterweise nicht in den Verkehrs- und Ingenieurwissenschaften sondern im interdisziplinären Bereich zwischen Soziologie und Architektur. Der britische Wissenschaftler Bill Hillier entwickelte zusammen mit Julienne Hanson bereits 1986 mit Hilfe der Graphentheorie Space Syntax einen Algorithmus zur Beschreibung der abstrakten morphologischen Wirkung von Räumen in einer Stadt. Die Art und Weise wie der öffentliche Raum geformt und miteinander verbunden und vernetzt ist, gibt hierbei Rückschlüsse auf die Benutzungsintensitäten durch die Bewohner*innen und Besucher*innen auf ihren unzähligen Wegen von A nach B in der Stadt, dies haben tausende von Studien mit Hilfe der Space-Syntax-Methode auf aller Welt eindrucksvoll dokumentiert. Das Programm depthmapX wurde an der Bartlett School of Architecture von Hillier und Hanson und deren Team über die letzten 40 Jahre mit dem grundlegenden Gedanken, dass Raumzusammenhänge graphisch und mathematisch bewertet werden können, entwickelt. Space Syntax Laboratory, UCL

Ein anderer, diesmal physikalischer Ansatz zur Beschreibung des Fußgängerverhaltens geht auf den Physiker Dirk Helbig zurück, dem es gelang, das kurzfristig-reaktive Fußgängerverhalten zu simulieren. Sein unter dem Namen „Social Force“ bekanntes Modell ist jedoch nicht in der Lage, makroskopische Routenwahl-Entscheidungssituationen zu modellieren. Die Nachbildung dieser makroskopischen Situationen in der Routenwahl von motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen ist mit der seit Jahren auf dem Markt befindlichen Software PTV Visum des Karlsruher Softwareunternehmens PTV möglich. Wie die Forschungen von Hillier bereits zeigen, ist jedoch das Entscheidungsverhalten von Fußgänger*innen um ein Vielfaches komplexer als das Entscheidungsverhalten der Nutzer*innen motorisierter Verkehrssysteme, da zum einen die Entscheidungsfreiräume des/der Fußgänger*in als Simulationsobjekt größer sind und zum anderen eine viel größere Anzahl von Entscheidungsparametern auf das Routenwahlverhalten wirken.

Anhand einer ausführlichen Literaturrecherche wird so die bisherige Fußgängerforschung über Verkehrsplanung und Städtebau hinaus in gesellschaftswissenschaftliche Disziplinen wie Psychologie oder Soziologie sowie in Teilbereichen von Ökonomie, Technik und Mathematik näher untersucht. Ziel ist das Erlangen eines umfassenden Blickes auf Fußgänger*innen mithilfe bereits entwickelter Forschungsergebnisse aber auch die Sammlung möglicher Instrumente zur Verbesserung der Situation von Fußgänger*innen im Verkehr. Neben den Space Syntax und PTV Visum zugrundeliegenden Algorithmen wurden bislang nur wenige Versuche unternommen, die Routenwahlentscheidungen von Fußgänger*innen auf ihrer eigenen Maßstabsebene abzubilden. Beide Algorithmen arbeiten mit unterschiedlichen mathematischen Ansätzen. Zum besseren Verständnis des Modellverhaltens wurden in einem Exkurs zunächst die Modellaussagen auf Basis von standardisierten Wegenetzstrukturen einander gegenübergestellt. Zur Anwendung kamen einerseits eine orthogonale Netzstruktur sowie eine Radialring-Netzstruktur, die beide durch die Herausnahme einzelner Netzkanten variiert wurden.

Broschüre

Projektleitung

Prof. Ingrid Burgstaller
Fakultät Architektur
Technische Hochschule Nürnberg
ingrid.burgstalleratth-nuernbgergPunktde

Prof. Dr. Harald Kipke
Fakultät Bauingenieurwesen
Technische Hochschule Nürnberg
harald.kipke@th-nuernbgerg.de

Prof. Gunnar Tausch
Fakultät Architektur
Technische Hochschule Nürnberg
gunnar.tauschatth-nuernbergPunktde

 

Technische Hochschule Nürnberg

Fakultät Architektur
Cand. M.a., B.A. Jennifer Raum (geb. Botzki)
mit
Cand. M.a., B.A. Kai Gebhardt
Cand. M.a., B.A. Sophie Hellmann
Cand. M.a., B.A. Victoria Konuk
Cand. M.a., B.A. Sven Vorliczky

Fakultät Bauingenieurwesen
Cand. M.a., B.Eng. Stefan Harrer

Förderprogramm der TH Nürnberg „Lehrforschung – forschendes Lernen“