Libra3D: Gewichtsbestimmung von Patienten in der Notaufnahme mittels optischer Sensoren

Im Ernstfall zählt jede Sekunde: Ärzte verabreichen Patienten in der Notaufnahme auf das Gewicht abgestimmte Medikamente, um Folgeschäden von Herz- und Hirninfarkten entgegenzuwirken. In Zusammenarbeit mit der neurologischen Kopfklinik der Universität Erlangen und Siemens Healthcare hat es sich das Projekt Libra3D zur Aufgabe gemacht die Ärzte durch ein Kamerasystem bei der Gewichtsbestimmung zu unterstützen.

Motivation

Ein Schlaganfallpatient mit einer Gehirnblutung wird in das Universitätsklinikum Erlangen eingeliefert. Der Patient ist nicht ansprechbar. Der Notarzt gibt den behandelnden Ärzten eine kurze Beschreibung der Symptome, sowie der bereits verabreichten Medikamente. Für die weitere Behandlung verabreichen Ärzte eine auf das Patientengewicht abgestimmte Dosis. Wenn jede Sekunde zählt greifen sie auf eine gängige Methode zurück: Sie schätzen das Gewicht. Erhält ein Patient dadurch eine Über- oder Unterdosis können Ärzte diesen Fehler erst im weiteren Behandlungsverlauf korrigieren, wenn das genaue Gewicht durch ein nachträgliches Wiegen des Patienten feststeht.

Vorangegangene Studien des Universitätsklinikums Erlangen haben gezeigt, dass bei der Gewichtsschätzung durch medizinisches Personal rund ein Drittel aller Patienten eine Dosis erhält, die um mehr als zehn Prozent von der idealen Dosis abweicht.Nun soll ein Sensorsystem das Schätzen des Patientengewichts übernehmen. Im Gegensatz zur Schätzung durch den Arzt erfolgt die Gewichtsbestimmung über das System auf objektiver Basis. Ärzte können das Gewicht von Patienten gut schätzen, wenn diese in etwa die gleiche Statur wie sie selbst haben.

Visuelle Gewichtsschätzung in der Kopfklinik Erlangen.

Sensorik

Das Sensorsystem Libra3D basiert in erster Linie auf einer Microsoft Kinect Kamera. Diese verbirgt sich unter der Decke des klinischen Behandlungsraums. Für die dreidimensionale Erfassung des Patienten eignen sich verschiedene 3DSensoren, doch die Kinect-Kamera unterscheidet sich durch ihren günstigen Preis. Viele andere Forschungsarbeiten lassen sich in der Praxis nicht einsetzen. Sie bestehen entweder aus teuren Sensornetzwerken oder erfordern ein Aufrichten oder Umlagern des Patienten. Der Reiz dieses Projektes ist es stabile Ergebnisse auf Basis günstiger Unterhaltungselektronik zu erhalten. Libra3D schätzt das Volumen des Patienten anhand einer Oberflächenmessung und einer Modellierung des menschlichen Körpers. Auf Grund anthropometrischer Merkmale kann auf die Dichte des Patienten geschlossen werden.

Sensorsystem bestehend aus Mikrosoft Kinect und Optris PI400 Thermokamera.
  • Fusionierte Punktwolke
  • 3D Punktwolke mit Farbinformation
  • Punktwolke mit Temperaturinformation

Algorithmik

Mit die schwierigste Aufgabe ist die Lokalisierung des Patienten, sowie das Herausfiltern von Notfallliege und Gegenständen, die nicht mit in die Gewichtsschätzung eingehen dürfen. Das Gewicht des Patienten, der sich auf der Liege befindet, wird innerhalb von wenigen Augenblicken ausgegeben.

Ergebnisse

Nun liegen erste Ergebnisse vor: Das von der TH entwickelte System erreicht eine bis auf zehn Prozent genaue Gewichtsschätzung in fast 80 Prozent der Fälle; Ärzte dagegen haben eine Trefferquote von nur 70 Prozent. Dieses vorläufige Ergebnis veranschaulicht das Potential des Systems. Noch dieses Jahr wird das System um eine Wärmebildkamera erweitert. Diese ist bereits in der Decke des Behandlungsraumes integriert, benötigt aber noch eine Kalibrierung zur Kinect-Kamera. Die Forscher erhoffen sich davon eine noch bessere Gewichtsbestimmung durch die zusätzlichen Informationen durch die Wärmebildkamera.

  • Gewichtsschätzung nach Libra3d.
  • Gewichtsschätzung der Ärzte.
  • Gewichtsschätzung des Patienten selbst.
  • Gewichtsschätzung nach Antropometischen Merkmalen.

Veröffentlichungen

Christian Pfitzner, Stefan May, Christian Merkl, Lorenz Breuer, Martin Köhrmann, Joel Braun, Franz Dirauf, and Andreas Nüchter. Libra3D: Body Weight Estimation for Emergency Patients in Clinical Environment with a 3D Structured Light Sensor, in Proceedings of the IEEE International Conference Robotics and Automation (ICRA '15), Seattle, WA, USA, May 2015.

Christian Pfitzner. Robotic Vision in Medical Applications: Visual Weight Estimation for Emergency Patients. Workshop Proposal to the Ph.D. Forum at the  International Conference Robotics and Automation (ICRA '15), Seattle, WA, USA, May 2015.

Christian Pfitzner, Stefan May, and Andreas Nüchter. Neural Network-based Visual Body Weight Estimation for Drug Dosage Finding. In Proceedinsg of the SPIE Medical Imaging Conference on Image Processing, San Diego, CA, USA, March 2016

Projektteilnehmer der TH Nürnberg

Projektleitung:Prof. Dr. Stefan May
Wissenschaftliche Mitarbeiter:Christian Pfitzner
Forschungmaster:Eduard Roth, Christian Merkl
Abschlussarbeiten:Christian Merkl
Studentische Projektgruppen:Andreas Geiger, Eduard Roth, Kristina Sawinsky, Miriam Schmidmeier, Venelin Venelinov, Laura Werder
Johann Delchmann, Chris Espig, Marion Kaiser, Deniz Neufeld
  • Projektteam bei der Langen Nacht der Wissenschaften 2013 (hinten v. li. nach re.): Dr. med. Lorenz Breuer (Kopfklinik Erlangen), Eduard Roth (THN), Laura Werder (THN), Dr. Joel Braun (Siemens AG), Christian Merkl (THN), Christian Pfitzner (THN). (mitte): Prof. Dr. Stefan May (THN). (vorne v. li. nach re.): Andreas Geiger (THN), Venelin Venelinov (THN), Miriam Schmidmeier (THN).
  • Eduard Roth (THN) bestimmt auf Knopfdruck das Gewicht eines Besuchers.

Projektpartner

PartnerPerson
UK Erlangen

PD Dr. med. Martin Köhrmann

Dr. med. Lorenz Breuer

Leitender Oberarzt

Stationsarzt der Stroke Unit

Siemens

Dr. Joel Braun

Franz Dirauf

Julius-Maximilians-Universität WürzburgProf. Dr. Andreas NüchterLehrstuhl Informatik VII

Förderung

Das Projekt Libra3D wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Referenznummer:03FH040PX3
Förderzeitraum:1. Oktober 2013 bis 30. September 2016
Ansprechpartner:Christian Pfitzner