Die Kosten für die Projektierung des Automatisierungssystems stellen einen signifikanten Anteil der Gesamtkosten des Engineerings einer automatisierten Produktionsanlage dar. Viele der hierzu notwendigen Arbeitsschritte sind von geringem schöpferischem Wert und sollten daher automatisiert ablaufen. Unter dem Stichwort "Generieren statt Programmieren" werden am Nuremberg Campus of Technology Methoden zur automatisierten Projektierung von Automatisierungssystemen entwickelt. Ziel ist es, große Teile der Basisautomation sowie HMIs und einfache Modelle für die virtuelle Inbetriebnahme (VIBN) aus vorhandenen Planungsdaten innerhalb eines maschinellen Prozesses zu generieren.

Virtuelle Inbetriebnahme mit dem digitalen Zwilling

Klassische Branchen wie Chemieindustrie, Maschinenbau, Elektroindustrie und Landwirtschaft verschmelzen mit der Informationstechnik (IT):

  • Durchschnittlich 24% der Produktionsmaschinen sind bereits mit dem Internet verbunden (Bitkom-Research April 2018 - Link)
  • Künftige Systeme sollen nicht nur vernetzt sein, sie sollen sich gegenseitig verstehen können und sich selbst optimieren (Siemens Fachartikel – Digitalisierung im Maschinenbau - Link)
  • Durch den Einsatz digitaler Technologien wandeln sich nicht nur Prozesse, auch die Arbeitswelt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verändern sich. Die kontinuierliche Qualifizierung und Weiterbildung derer ist einer der Schlüssel für den unternehmerischen Erfolg im digitalen Zeitalter. (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie – Digitalisierung im Mittelstand voranbringen - Link)

Das Referenzbeispiel für diese Entwicklung ist der digitale Zwilling, ein simuliertes Abbild der Maschine oder eines Prozesses. Aus diesen Gründen befasst sich der Nuremberg Campus of Technology intensiv mit allen aktuellen Fragestellungen in diesem Forschungsbereich.

Die Zeit vom Auftragseingang bis zur Lieferung einer Anlage zu verkürzen, ist eine der zentralen Forderungen an den Maschinen- und Anlagenbau. Im Bereich Fabrikautomatisierung bestehen Anlagen/ Maschinen aus vielen Stationen, die einzeln in Betrieb genommen werden. Eine reale Inbetriebnahme beginnt meist mit einfachen Komponenten wie pneumatischen Aktoren, elektrischen Antrieben und diversen Sensoren. Erst wenn alle Einzelkomponenten einwandfrei funktionieren, kann ein übergeordneter Ablauf (z.B. Fügen) programmiert werden. Diese Inbetriebnahmephase ist charakterisiert durch viele Optimierungsschleifen mit Hard-/ Softwareanpassungen. In der Mechanik und Elektrik konnten durch parallele Fertigung von Baugruppen, die anschließend in der Endmontage zusammengefügt werden, bereits deutliche Verbesserungen erreicht werden. Jedoch noch nicht im Bereich der Software-Inbetriebnahme.

Durch Nutzung eines virtuellen Anlagenmodells, auch digitaler Zwilling, möchte man unter anderem die folgenden Ergebnisse erreichen:

  • In der Projektplanung führt die virtuelle Darstellung der Anlage bei allen Beteiligten zum gleichen Verständnis und dient der Detailabstimmung. Spezifikationsmängel werden früher erkannt und Abstimmungsfehler vermieden.
  • In der Softwareentwicklung dient die Simulation als Testumgebung. So können Softwarefehler früher erkannt werden und teure Nachbesserungen werden verhindert.
  • Während des Betriebes sind bei geplanten Umbauten einer Anlage kürzere Stillstandszeiten möglich, ebenso können Rüstzeiten minimiert und geplante Produkte und Rezepte zunächst am Zwilling getestet und Qualitätsaussagen getroffen werden.
  • Die funktionale Qualität der Software kann ohne Risiko im Büro nachgewiesen werden. Reisen zum Anlagenstandort werden reduziert. Die reale Inbetriebnahmezeit wird verkürzt und dadurch Personalkosten reduziert.
  • Große Anlagen wie z.B. in der Montanindustrie oder bei Schiffshebewerken müssen beim ersten Einschalten funktionieren. Die Software kann mit dem digitalen Zwilling kostengünstig getestet werden.
  • Ressourcen und Verbräuche können durch Neuanordnung der Einzelstationen optimiert werden, die fortlaufende Optimierung der Anlagen durch Untersuchungen am Zwilling wird möglich. 
  • OTS-Systeme (Operator-Training) - virtuell trainieren und Störfälle ohne Gefährdungen testen. Training mit dem digitalen Zwilling kann als Dienstleistung angeboten werden.

Wie entsteht ein digitaler Zwilling?

Möglichkeit 1 (diskrete  Fertigung):
3D-KONSTRUKTIONSDATEN werden NACHTRÄGLICH mit Informationen angereichert. Dadurch entsteht ein Modell, dass Geometrie, Kinematik und Verhalten enthält.

Möglichkeit 2 (diskrete  Fertigung und Prozessindustrie):
Ein neu zu erstellendes VERHALTENSMODELL bildet die Ausgangsbasis. Dieses Modell kann, falls es sich um ein Beispiel der diskrete Fertigung handelt, mit einer 2D- oder 3D-Darstellung gekoppelt werden. Es sind hierzu zwei Modellbestandteile notwendig „Verhalten“ und „Geometrie“.

Möglichkeit 3 (diskrete  Fertigung und Prozessindustrie):
Bereits VORHANDENE PLANUNGSDATEN werden verarbeitet und wichtige Informationen extrahiert. Diese Daten, aus dem Prozessleitsystem, aus HMI-Grafiken, aus R&I-Fließbildern oder Stromlaufplänen, werden verwendet um teilautomatisiert den digitalen Zwilling zu erzeugen.

Allen erwähnten Zwillingen gemeinsam ist deren Anwendung in der Form, dass die Industrie-Steuerung entweder auf die reale oder die virtuelle Anlage geschaltet wird. Dadurch ergeben sich die zahlreichen Nutzungsmöglichkeiten.