13.03.2023

Corona-Auswirkungen auf junge, wohnungslose Menschen

Weniger Sozialkontakte, kaum sinnvolle Beschäftigungen: Sozialwissenschaftler*innen der TH Nürnberg haben gemeinsam mit Forschenden aus Preston und Kopenhagen die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das alltägliche Leben junger, wohnungsloser Menschen untersucht. Das internationale, von der VolkswagenStiftung geförderte Projekt „Vulnerable Youth“ zeigt positive Entwicklungen im Wohnungslosenhilfesystem, die allerdings nur temporär wirkten.

Junge, wohnungslose Menschen gelten in der Praxis der Sozialen Arbeit als besonders vulnerable Gruppe. Begriffe wie entkoppelte Jugendliche, schwer Erreichbare oder Systemsprenger prägen den Diskurs um eine Gruppe junger Menschen, die in speziellen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe untergebracht sind, bei Freund*innen oder Bekannten übernachten oder im öffentlichen Raum ihre Quartiere errichten. Dabei befinden sich viele nicht in institutionellen Bildungs-, Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnissen.

Als die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 Europa erreichte, galten sowohl junge Menschen als auch wohnungslose Menschen als besonders gefährdet. So überrascht es nicht, dass im Forschungsprojekt „Vulnerable Youth in Changing Risk Environments: Figurations of Urban Youth Homelessness in Germany, Denmark and the UK“ unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Sowa die Gruppe junger, wohnungsloser Menschen ins Zentrum des Forschungsinteresses rückte. Sowa forscht an der Fakultät Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm seit vielen Jahren zu sozialer Ungleichheit und Wohnungslosigkeit. Er und sein Forschungsteam gingen mit der Annahme ins Feld, junge, wohnungslose Menschen seien aufgrund der ihnen zugeschriebenen Vulnerabilität auf besonders schwere Weise von den Auswirkungen der Pandemie betroffen.

Überraschenderweise schätzten viele junge, wohnungslose Menschen in allen drei Ländern die Folgen der Pandemie für den wohnenden Teil der Gesellschaft deutlich gravierender ein als für sich selbst. Sowa erklärt hierzu: „Für diejenigen, die auf der Straße leben müssen, war Corona das kleinste Problem, weil sie täglich ums Überleben kämpfen.“ Dennoch wurden Auswirkungen der Pandemie auf das Leben der jungen Menschen festgestellt. In allen drei Ländern verloren junge, wohnungslose Menschen wichtige soziale Kontakte – zu Freund*innen, Familienmitgliedern oder Sozialarbeiter*innen. Die Folgen der Kontaktbeschränkungen waren Einsamkeit, Langeweile und soziale Isolation.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter Marco Heinrich konstatiert: „Das Leben vieler junger, wohnungsloser Menschen während der Lockdowns fand zu großen Teilen in ihren kleinen Zimmern der Wohnungslosenpensionen statt. Dort waren sie zwar mit dem Nötigsten versorgt, hatten aber kaum Möglichkeiten, sich sinnvoll zu beschäftigen.“ Das lag unter anderem daran, dass pandemiebedingte Einschränkungen auch Angebote der Wohnungslosenhilfe betrafen.

Denn einige Angebote wie Sport-, Bastel- oder Handwerksaktivitäten konnten während der Lockdowns nicht aufrechterhalten werden, da die Ansteckungsgefahr dort als zu hoch eingeschätzt wurde. Der Wegfall solcher Angebote traf manche jungen Menschen hart, da sie dort Räume der Akzeptanz und Zugehörigkeit fanden – im Gegensatz zu öffentlichen Räumen, wo ihnen oft Unverständnis und Verurteilungen begegnen. Die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe entwickelten neue Arbeitsweisen, die darauf abzielten, trotz Abstand und Infektionsschutz die praktische und emotionale Unterstützung der jungen Menschen aufrechtzuerhalten. So wurden Beratungsgespräche verstärkt online oder per Telefon geführt, und statt gemeinsamen Mittagessen wurde das Essen zur Mitnahme eingepackt.

Viele Sozialarbeiter*innen verstärkten ihr Engagement während der Lockdowns. Sie fanden neue, kreative Wege, um mit der pandemischen Situation umzugehen. Ihre Arbeit wurde durch die Pandemie komplizierter. Sie mussten stets zwischen der Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus und der Gefahr, junge Menschen in Krisensituationen nicht adäquat unterstützen zu können, abwägen. Um weiterhin bestmögliche Unterstützung zu gewährleisten, hielten sich einige der Sozialarbeiter*innen nicht immer strikt an alle Corona-Regeln, beispielsweise indem sie jungen Menschen, die sich in einer akuten Krise befanden, trotz Abstandsvorgaben die Hand auf die Schulter legten, oder sie gar umarmten.

In allen drei Wohlfahrtsstaaten wurden aufgrund der Pandemie neue Unterkünfte für obdachlose Menschen eröffnet. Diese Maßnahmen boten diesen Menschen eine neue Chance, die Straße als Lebensmittelpunkt zu verlassen und wirkten sich somit positiv auf ihre Leben aus. Allerdings waren diese Maßnahmen nur temporär verfügbar und sind heute häufig bereits ausgelaufen. Dieser temporäre Charakter der Maßnahmen bedeutete auch, dass deren Nutzen begrenzt war. Die positiven Effekte der Schaffung von Wohnraum für diese Gruppe wurden dennoch deutlich. Das Projekt Vulnerable Youth wurde im Rahmen der Initiative „Corona Crisis and Beyond – Perspectives for Science, Scholarship and Society“ von der VolkswagenStiftung gefördert.

 


Weiterführende Informationen:

Bildinformation „PM 09_TH Nürnberg_Vulnerable Youth.jpg“: Im Projekt Vulnerable Youth untersuchten Sozialwissenschaftler*innen der TH Nürnberg gemeinsam mit Forschenden aus Preston und Kopenhagen die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Leben junger, wohnungsloser Menschen. (Foto: Mistermunro)

Link zum Projekt: www.th-nuernberg.de/vulnerable-youth

Link zum Video (deutsche Version): https://youtu.be/J6r0aqJYBZM

Link zum Video (englische Version): https://youtu.be/Pii9NH3phK0

Link zum Forschungsdesign: https://link.springer.com/article/10.1007/s12592-021-00387-0

Link zum Forschungsbericht: https://clok.uclan.ac.uk/45909/1/Report_VulnerableYouth_v1.pdf

 

 

Kontakt:
Matthias Wiedmann, Pressesprecher
Telefon: +49 911/5880-4101
E-Mail: presseatth-nuernbergPunktde

 

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