17.01.2023

Richtig Druck machen

Technologietransfer-Projekt InnoReSt entwickelt innovative Steuerung für Fluidförderanlagen

Wasserhahn auf im zehnten Stock und es sprudelt sofort – egal, in wie vielen Wohnung gleichzeitig geduscht wird. Was selbstverständlich klingt, ist technisch gar nicht so leicht zu lösen. Es braucht dafür eine gut funktionierende Druckerhöhungsanlage. Wie sich die Pumpen darin möglichst effizient per Algorithmus steuern lassen, damit befasst sich das Forschungsprojekt InnoReSt. Von dieser innovativen Technologie haben nicht nur Privatverbraucher*innen unter der Dusche etwas, auch für Fluidförderanwendungen in der Industrie kann sie vielleicht zukünftig hilfreich sein.

Als Laie stellt man es sich einfach vor: Ein Rohrnetz führt zu Wasserhähnen, dort kann man Flüssigkeit entnehmen, die mit einem konstanten Druck durch die Leitungen strömt. Doch sobald Fluidförderanlagen, wie sie fachsprachlich heißen, etwas komplexer werden, ist es auch technisch nicht mehr so simpel. Denn selten hat man es in der Praxis mit der einfachsten Variante zu tun: ein Zulauf – eine Leitung – ein Auslauf. Fluidförderanlagen kommen nicht nur im Bereich Sanitär und Heizung zum Einsatz, sondern auch in der Chemie- und Pharmaindustrie, in der Lebensmittelbranche oder zum Beispiel in der Kraftstoffzufuhr bei Fahrzeugen. Wann immer man es mit mehreren Zu- oder Ausläufen zu tun hat und die Zahl dieser Ausläufe je nach Zeitpunkt variiert – denken wir daran, wie viele Nachbar*innen zufällig gerade den Hahn in ihrer Wohnung öffnen –, stellt sich eine wichtige Frage: Wie schafft man es technisch, dass der Druck im System nicht plötzlich so abfällt, dass kaum mehr Wasser aus dem Duschkopf fließt? Oder dass es bei der Übertragung des Prinzips auf industrielle Anlagen keine Unregelmäßigkeiten im Zulauf gibt?
Genau mit dieser Frage beschäftigt sich das Forschungsprojekt „Innovative Regelungs- und Steuerstrategien für Druckerhöhungsanlagen“ (InnoReSt) am Nuremberg Campus of Technology (NCT), finanziert durch die Bayerische Forschungsstiftung. Es geht das Problem wissenschaftlich an: Das dynamische Druck- und Volumenstromverhalten in Fluidförderanlagen – um in unserem Bild zu bleiben: das Problem der wechselnden Anzahl von gleichzeitig duschenden Nachbar*innen – will das Projekt in einem mathematischen Modell erfassen. Das wiederum bildet die Grundlage für eine Pumpensteuerung, die nicht einfach irgendwie, sondern genau angepasst auf die Parameter und Zustände des Systems funktioniert – und mithilfe eines Algorithmus sogar lernfähig ist. Forschungsobjekt ist dabei unser Beispiel mit dem Hochhaus-Wassernetz. Im Fokus steht die sogenannte Druckerhöhungsanlage – eine automatisierte Anlage mit mehreren Pumpen, deren Aufgabe es ist, den Druck im Rohrnetz so konstant zu halten, dass eine sichere Trink- und Löschwasserversorgung garantiert ist.
„Wir haben uns eine Druckerhöhungsanlage ausgesucht, weil sie ein gutes Beispiel für eine Fluidförderanlage ist und weil sie ein gut beschreibbares System darstellt“, erklärt Florian Goppelt-Schneider. Der wissenschaftliche Mitarbeiter arbeitet am NCT und ist je zur Hälfte an der TH Nürnberg und an der FAU Erlangen-Nürnberg angestellt. Das Themenfeld Regelung und Steuerung von automatisierten Pumpenanlagen beschäftigt ihn schon länger. Im vorangegangenen, von der EU finanzierten Technologietransfer-Projekt DATA∙e∙Pump der Forschungsgruppe Automatisierung hatte sich herausgestellt, dass eine innovative, modellbasierte Ansteuerung von Pumpen zur Regelung von Druck oder Volumenstrom ein spannendes Feld für weiteren Technologietransfer wäre.
Denn in der Praxis ist es bislang noch eher unüblich, innovative Regelungsmethoden für Fluidförderanlagen einzusetzen, erklärt Goppelt-Schneider. Standard sind bisher so genannte PI- (Proportional-Integral-) oder PID- (Proportional-Integral-Differenzier-) Regler mit einer überlagerten Steuerlogik. Sie sind eigentlich für lineare Systeme gedacht. Durch die variierende Zahl von gleichzeitig geöffneten Wasserhähnen, Duschen oder Waschmaschinenzuläufen ist das Beispiel vom Hochhausnetz aber kein lineares, sondern ein stark nichtlineares System. Wenn eine Regelung energieeffizient und schnell sein soll, muss sie diese Dynamik berücksichtigen.
Das versucht Florian Goppelt-Schneider folgendermaßen zu erreichen: Zunächst entwickelt er ein Modell, das die physikalischen Gegebenheiten der Druckerhöhungsanlage möglichst gut beschreibt. Dabei spielen feste Parameter wie die Querschnittsfläche der Rohrleitung oder die Wassermenge im System eine Rolle, außerdem auch sich verändernde Zustände wie der Volumenstrom oder der Druck in den Leitungen. Dabei helfen Goppelt-Schneider so genannte elektrohydraulische Analogiebetrachtungen. Er leiht sich dabei sozusagen Differentialgleichungen aus einem anderen Bereich aus: Der Wasserdruck in einem Rohr ist vergleichbar mit der elektrischen Spannung auf einer Leitung, der elektrische Strom findet seine Entsprechung im so genannten Volumenstrom, einer physikalischen Größe für die Durchflussmenge.
Ob sein mathematisches Modell die Realität gut abbildet, lässt sich dank des Projektpartners aus der Industrie direkt testen: Die Firma SPECK Pumpen mit Sitz in Mittelfranken stellt einen Turm auf ihrem Gelände und das entsprechende Material für einen Prüfstand zur Verfügung. Eine Druckerhöhungsanlage mit drei Pumpen und einer Löschwasserpumpe und ein zwölf Meter hohes Rohrsystem mit mehreren Hähnen simulieren dabei die Situation in einem Hochhaus. Mithilfe dieses Prüfstands kann das Forschungsteam aus Florian Goppelt-Schneider und studentischen Hilfskräften Validierungsmessungen machen, sodass das mathematische Modell sich mit jeder Nachbesserung dem realen Druckverlauf immer mehr angleicht. Wenn es ausgereift ist, bildet es die Grundlage für einen modellbasierten Regler. Er unterscheidet sich ganz entscheidend von den üblichen empirisch eingestellten Reglern: Die Regelung basiert eben nicht nur auf Ausprobieren und ungefähr festgelegten Erfahrungswerten, sondern auf einem Modell der tatsächlichen physikalischen Gegebenheiten.
Der Regelungsalgorithmus, der schließlich die Pumpen der Druckerhöhungsanlage ansteuern soll, besteht aus mehreren Elementen. Ein sogenannter Beobachter versucht basierend auf dem mathematischen Modell, den Volumenstrom zu schätzen: Wie ist die genaue Gesamtdurchflussmenge, die die Druckerhöhungsanlage verlässt und ins Hochhausnetz geleitet wird? Mithilfe eines überlagerten Steuerungskonzeptes wird dieser erforderliche Volumenstrom dann sinnvoll auf die einzelnen Pumpen aufgeteilt. Das soll dazu führen, dass der Gesamtwirkungsgrad, also die Energieeffizienz der zusammenarbeitenden Pumpen, möglichst hoch ist. Im Idealfall funktioniert das so gut, dass der Druckabfall im Rohrnetz schnell aufgefangen wird, wenn Herr Meier im ersten Stock die Klospülung betätigt und Frau Schmidt im dritten Stock die Hände unter den Wasserhahn hält, während zufällig gerade vier Waschmaschinen im Haus ebenfalls Wasser aus dem System entnehmen. Ob das der Fall ist, werden Tests mit einer Simulation und am Prüfstand bei SPECK Pumpen zeigen.
Das technische Ziel des Projekts ist eine zuverlässige Druckregelung in einem schnell reagierenden Fluidfördersystem, die auch funktioniert, wenn das System schwach gedämpft ist, also ohne die technische Komponente eines so genannten Membranausdehnungsgefäßes auskommt. Dieser Bestandteil stehe im Verdacht, häufig verantwortlich für Keimbelastungen im Rohrnetz zu sein, erklärt Florian Goppelt-Schneider. Konkret bedeutet diese zuverlässige Druckregelung: „Sie haben dann ein Steuerungs- und Regelungskonzept, das die Pumpen effizient betreibt“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter. „Dieses System ist im Vergleich zu einem normalen PI-Regler sehr robust.“ Das heißt: Es würde auch trotz Unregelmäßigkeiten wie einem veränderten Verhalten der Pumpen durch Alterung oder eine Verunreinigung in den Leitungen weiterhin exakt regeln. „Und die Regelung sollte auch deutlich dynamischer funktionieren.“ Das Ergebnis ist ein zeitgemäßes Regelungs- und Steuerungskonzept, das die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt – dieser Aspekt ist für den Projektpartner SPECK Pumpen besonders wichtig und könnte auch den Grundstein für einen Technologietransfer für andere Anwendungen legen.
Nebenbei sorgt das Projekt InnoReSt dafür, dass die TH Nürnberg und die FAU Erlangen-Nürnberg in der Forschung zusammenarbeiten: Das Thema ist sowohl für die Forschungsprofessur für Steuerungstechnik am NCT (Prof. Dr.-Ing. Ronald Schmidt-Vollus) als auch für den Lehrstuhl für Regelungstechnik der FAU (Prof. Dr.-Ing. Knut Graichen) interessant. Es ist zudem ein gutes Beispiel dafür, wie das Zusammenfließen von Wissen aus der Forschung und aus der Praxis von den Industrie-Projektpartnern dazu führt, dass anwendungsnahe, innovative Lösungen entstehen können.

An dem Projekt arbeiten innerhalb der TH Nürnberg mit:
Prof. Dr.-Ing. Ronald Schmidt-Vollus, Forschungsprofessur für Steuerungstechnik, Nuremberg Campus of Technology
Florian Goppelt-Schneider, Nuremberg Campus of Technology

Externe Partner:
Prof. Dr.-Ing. Knut Graichen, Lehrstuhl für Regelungstechnik, FAU Erlangen-Nürnberg
SPECK Pumpen Verkaufsgesellschaft GmbH, Neunkirchen am Sand

Projektförderung:
Das Projekt InnoReSt wird durch die Bayerische Forschungsstiftung finanziert.

 

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