23.07.2021

Zurück in die Zukunft – Revolution der Tontafeln

Das LEONARDO-Projekt „Eternipedia“ entwickelt Prototypen für eine neuartige Datenspeicherung und greift dabei auf antike Vorbilder zurück

Wie können wir Informationen für kommende Generationen sichern? Welche Eigenschaften müssen Datenspeicher und die darauf enthaltenen Informationen haben, um auch in ferner Zukunft noch lesbar und verständlich zu sein? Seit zwei Jahren widmet sich das Team von Prof. Dr. Ralph Lano, Prof. Yves Ebnöther und Prof. Dr. Bastian Raab der TH Nürnberg im interdisziplinären LEONARDO-Projekt „Eternipedia“ diesen Fragen.

Von Karolina Albrecht
Aus OHM-Journal 2021/01 (PDF-Version)

Von der Bibliothek von Alexandria bis zum Historischen Archiv in Köln hatten Speicher und Archive im Laufe der Geschichte immer wieder mit dem Verlust von Daten und damit von Wissen zu tun. Gleichzeitig haben gängige Medien wie Papier, Compact Discs oder Mikrofilm eine begrenzte Haltbarkeit, können durch Feuer und Wasser zerstört werden und benötigen teilweise spezielle Endgeräte, um gelesen zu werden. Erfolgversprechender scheint da die Verwendung von Keramiken und ähnlich beständigen Materialien in Verbindung mit analoger Wissensvermittlung.

Das Projektteam um Prof. Dr. Ralph Lano von der Fakultät Elektrotechnik Feinwerktechnik Informationstechnik hat nun mit „Eternipedia“ ein umfassendes Konzept entwickelt, um Wissen für die Ewigkeit dokumentieren zu können und bezieht dabei nicht nur die Beschaffenheit des Speichermediums ein, sondern auch die der zu speichernden Information. Das beinhaltet nicht nur eine Abwägung, welches Wissen es wert ist, verewigt zu werden, sondern auch die Form, beispielsweise in welcher Sprache, welcher Technologie und welcher Schrift. Ausgangspunkt ist die Wikipedia, denn erstens stellt sie ihre Inhalte frei zur Verfügung, zweitens bildet sie das gegenwärtige Wissen ab und ist drittens in vielen Sprachen verfügbar. 

Die Idee zu „Eternipedia“ ist schon älter, denn alte Speichermedien wie die mesopotamischen Tablets und antiken Tontafeln faszinieren Prof. Dr. Ralph Lano schon lange – ebenso die Frage, was in Zukunft mit unserem Wissen passiert. Doch erst durch die Ausschreibungen von LEONARDO nahm die Idee konkretere Züge an. LEONARDO – Zentrum für Kreativität und Innovation ist eine Kooperation zwischen der Technischen Hochschule Nürnberg, der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und der Hochschule für Musik Nürnberg, finanziert über das Bund-Länder-Programm „Innovative Hochschule“. Es unterstützt innovative, interdisziplinäre und transferorientierte Projekte. Seit April 2019 wird „Eternipedia“ durch das Zentrum gefördert. „Das war zuerst so eine Schnapsidee, die normalerweise niemand fördert, weil es eher Richtung Kultur und Kunst geht“, freut sich Prof. Dr. Ralph Lano. „Dass man dafür eine Förderung bekommt, vor allem über mehrere Fakultäten hinweg, das ist besonders. Und nicht nur finanziell. Für die Kreativität, für das Treffen mit Anderen und den Austausch finde ich die Idee hinter LEONARDO absolut genial.“ 

In einem anderen Kontext arbeitete Prof. Dr. Ralph Lano zu dieser Zeit mit Prof. Yves Ebnöther von der Fakultät Design zusammen und berichtete ihm von seinem Konzept. Und dieser holte mit Prof. Dr. Bastian Raab von der Fakultät Werkstofftechnik einen Keramikexperten mit ins Boot. Ergänzt wurde das Team durch die beiden Studentischen Hilfskräfte Emely Rosbach und Christian Tyrach. Allein sind sie mit ihrer Forschung an haltbaren Speichermöglichkeiten nicht. Zahlreiche Projekte wie Microsofts Project „Silica“, das österreichische Memory of Mankind oder die Arch Mission Foundation beschäftigen sich ebenfalls mit der dauerhaften Speicherung digitaler und analoger Informationen, setzen jedoch einen gewissen Grad an Technologie und Wissensstand voraus, um sie zu finden oder zu dechiffrieren. Dem gegenüber will „Eternipedia“ ein schnell und kostengünstig herzustellendes Speichermedium bieten, dessen Informationen sich für jeden entschlüsseln lassen, der es findet. 

Lochkarten, Floppy Disks, selbst CDs und USB-Sticks – es ist offensichtlich, dass alle diese Medien innerhalb von 50 Jahren nutzlos sind oder sein werden, weil ihre Technologien schlicht veraltet und die Informationen nicht mehr lesbar sind. Papier hält sehr lange, aber zahlreiche Beispiele der Geschichte haben gezeigt, dass auch Papier anfällig ist. „Antike Tontafeln und Höhlenmalereien dagegen sind beständig. Nur: finden Sie mal ein paar Höhlen und die meisten Höhlen sind ja schon vollgemalt, da können Sie nicht einfach noch was dazu malen“, gibt Prof. Dr. Ralph Lano augenzwinkernd zu bedenken. „Aber Stein und Keramik waren ein guter Ausgangspunkt und so entstand die Idee.“ Im Gegensatz zu Kunststoffen ist Keramik UV-beständig, im Gegensatz zu Metallen korrosionsbeständig. Feuer, Wasser und Sonneneinstrahlung können dem Material und der Lesbarkeit nichts anhaben. Wird die Keramik entsprechend gebrannt, ist sie auch gegen Frost geschützt. Die Herausforderung war jedoch, Tafeln in einer Zusammensetzung und Größe zu entwickeln, die relativ bruchsicher und dabei einfach zu produzieren und bezahlbar sind. 

Schon früh fiel daher die Wahl auf Porzellan, wie Prof. Dr. Bastian Raab erläutert: „Dieses Material ist dichtgebrannt, in ausreichender Menge vorhanden, kostengünstig und es gibt lokale Rohstoffvorkommen.“ Dabei profitieren die Nürnberger Wissenschaftler von moderner Technik. Heute stehen verschiedenste Materialzusammensetzungen und Technologien zur Verfügung, Trocknungs- und Brennprozess sind wesentlich kontrollierbarer und die Hilfsmittel zur Beschriftung präziser als bei den antiken Vorbildern. Parallel zu den Materialtests begann die Suche nach geeigneten Formaten und Herstellern, aber auch die Auswahl von Sprachen und Schrift. Ausgehend von der Idee des Rosettasteins, mit welchem in den 1820ern die Hieroglyphen entschlüsselt werden konnten, werden die Porzellantafeln der „Eternipedia“ in drei Sprachen beschriftet. Als Schlüssel dienen zehn der wichtigsten Wikipediaartikel, die in Chinesisch, Hindi und Englisch geschrieben werden. Vorteil dieser Artikel: Sie liegen in allen drei Sprachen vor und sind – auch im Aufbau von Text und Bild – gleich. Dass auch Bilder aufgenommen wurden, hat laut Prof. Dr. Bastian Raab einen pragmatischen Grund: „Was passiert, wenn es zum Beispiel einen Meteoriteneinschlag gibt, wenn eine komplette Sprache verloren geht? Deshalb haben wir uns dazu entschieden, Bilder aufzunehmen, die sichtbar und mit bloßem menschlichem Auge lesbar sind.“ Selbst beim Verlust einer der Sprachen und bei deren Weiterentwicklungen können Bilder noch in hunderten von Jahren zur Entschlüsselung der Tafeln beitragen. Auch das Format ist von Bedeutung. Wurden die ersten Versuche noch mit DIN-A5-Platten durchgeführt, verständigte sich das Projektteam bald auf das kleinere Format DIN-A6, das mit wesentlich weniger Bruch bearbeitet werden kann. 

Die Frage nach der Beschriftung hatte von Beginn an die meiste Zeit in Anspruch genommen. Das bedeutete viel Recherchearbeit, viele Versuche und sehr viele zerbrochene Tafeln. Dazu zählten Brennversuche ebenso wie Tests zur Beschriftung mit Einritzen, Eindrucken, Fräsen und schließlich Lasern. Genau diese Methode, die sie zu Anfang noch verwerfen wollten, stellte sich als die beste sowohl für Schrift wie auch für Bilder heraus. Bei diesem Verfahren fährt ein Lasercutter die Platten linienweise ab und brennt die Bilder und Texte ein. Je nach Motiv stehen zwei Vorgehensweisen zur Verfügung: „Cut“, das Schneiden, und „Engrave“, das Gravieren. Schneiden ist langsamer, dafür ist das Resultat nach dem Brand viel besser lesbar und das Verfahren somit optimal für Texte. Das Gravieren geht schneller, doch das Ergebnis ist kaum lesbar. Für Bilder hingegen ist das Engrave-Verfahren sehr gut geeignet. Für eine gute Lesbarkeit haben die Wissenschaftler verschiedene Auflösungen und Laserstärken ausprobiert, die Parameter ständig verändert und für den Text unterschiedliche Schriften getestet. Damit der Laser Texte zügig schreiben kann und gleichzeitig die Platten gut lesbar sind, hat das Team eigene Schriften designt. Für deren Entwicklung, das Schreiben und Brennen brauchten sie jeweils etwa drei bis vier Wochen. Zwei Fonts haben sich in den Testverfahren durchgesetzt: eine runde und eine eckige. 

„Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was Keramiken und diese Werkstoffe angeht. Umgekehrt hat sich dann später herausgestellt, dass es für die Herstellung der Platten sehr hilfreich ist, wenn man Software entwickeln und den Prozess automatisieren kann“, erklärt Prof. Dr. Ralph Lano die Vorteile der interdisziplinären Zusammenarbeit. Er hat für die „Eternipedia“ ein Programm geschrieben, mit dem auch Menschen ohne IT-Kenntnisse Bilder und Texte in entsprechende Dateien für den Lasercutter übersetzen können. Der Cutter löst während des Schreibevorgangs das Material der Tafel, wodurch sich die gelaserten Punkte zunächst verflüssigen und später von der Fläche abheben. Dazu wird durch die eigene Software zum Beispiel ein Artikel heruntergeladen und direkt in eine SVG-Datei im benötigten A6-Format konvertiert, die den Lasercutter steuert. Die Zugänglichkeit der Software und der verwendeten Technologien und auch der Materialien ist ein weiterer Clou der „Eternipedia“, wie Prof. Dr. Bastian Raab ausführt: „Für das Projekt werden kommerziell verfügbare Porzellanfolien verwendet. Diese Folien sind nicht allzu groß und da es sich um normale Porzellanfolien handelt, werden sie bei ungefähr 1.250 Grad gebrannt.“ Diese Folien basieren auf einer keramischen Zusammensetzung und Bindemitteln. Das Besondere dabei ist: Die Folien sind so dünn, dass sie nach dem Brennen lichtdurchlässig sind. 

Die Einstellparameter und das Programm zur Übersetzung in SVG-Dateien sollen online veröffentlicht und so der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. Einen entsprechenden Lasercutter findet man beispielsweise in den Makerlabs, die es vielerorts gibt und durch die vergleichsweise niedrige Brenntemperatur können auch manche Keramikwerkstätten und Werkräume öffentlicher Einrichtungen die Tafeln brennen. 

Dem Nürnberger Team geht es darum, einen niedrigschwelligen Zugang zu Wissen auch in ferner Zukunft zu ermöglichen und gleichzeitig den Menschen heute die Möglichkeit zu bieten, ihr Wissen und ihre Erfahrungen kostengünstig zu konservieren. Ziel ist es, ein Produkt möglichst einfach herzustellen, bei dem auf den ersten Blick erkennbar ist, dass es Informationen erhält und das hunderte oder tausende von Jahren überdauert. „Die Leute, die ihre eigenen Sachen machen wollen, können das tun, komplett unabhängig von uns. Und wir können uns auf Spendenbasis auf die Wikipedia fokussieren und damit wären beide Bedürfnisse mit wenig Aufwand erfüllt“, fasst Prof. Dr. Ralph Lano zusammen. 

Und noch eine Idee wurde in Gesprächen mit der Musikhochschule aufgeworfen: Keramikschallplatten. Die ersten Versuche sind vielversprechend, jedoch wird noch viel Feinabstimmung nötig sein, bis das Rauschen den gewünschten Klängen weicht. 

Auch die Verknüpfung mit der Lehre ist bei „Eternipedia“ durch Projektarbeiten sowohl in der Werkstofftechnik wie auch im Bachelorstudiengang „Media Engineering“ gelungen: Im vergangenen Wintersemester hatten sich beispielsweise fünf Studierende einem Crowdfundingkonzept als Semesterprojektarbeit gewidmet, denn die Förderung durch LEONARDO endet im Juni dieses Jahres. Prof. Dr. Ralph Lano will das Projekt weiterführen. Dazu laufen schon bald die ersten Kampagnen auf Crowdfundingplattformen entsprechend den Vorschlägen der Studierenden an. Alle Einnahmen werden in den Druck von Wikipedia-Artikeln investiert. 

An dem Projekt arbeiten innerhalb der TH Nürnberg mit:
Prof. Dr. Ralph Lano, Fakultät Elektrotechnik Feinwerktechnik Informationstechnik
Prof. Yves Ebnöther, Fakultät Design
Prof. Dr. Bastian Raab, Fakultät Werkstofftechnik

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